#cover a-b-anarchist-black-cross-dresden-ein-politisches-1.png #title Ein politisches und persönliches Statement sowie Rückblick zu unserer Soli-Arbeit zum Angriffskrieg auf die Ukraine bisher #author Anarchist Black Cross Dresden #date 2022 #source Retrieved on 2022-12-04 from [[https://abcdd.org/2022/11/25/ein-politisches-und-personliches-statement-sowie-ruckblick-zu-unserer-soli-arbeit-zum-angriffskrieg-auf-die-ukraine-bisher/#deutscheversion][ABC Dresden]] #lang de #pubdate 2022-12-04T21:31:50 #authors Anarchist Black Cross Dresden, ABC Dresden, Solidarity Collectives #topics ukraine, russia, Mutual Aid, war #notoc 1 **Seit dem ersten Tag des Einmarsches russischer Truppen in die Ukraine** arbeiten wir mit Freund*innen vor Ort sowie Gefährt*innen aus Belarus, Russland und Polen zusammen. Dies wurde durch Tausende von Spenden von Menschen aus der ganzen Welt ermöglicht, die verstanden haben, wie wichtig internationale Solidarität in diesem kritischen Moment ist. Und dafür möchten wir uns bei allen bedanken, die den Aufrufen gefolgt sind und Hilfe geleistet haben, nicht nur mit Geld, sondern auch mit direkten Aktionen, Logistik und Medienarbeit. Wir kommen teilweise aus diesen Orten und teilweise sind wir einfach sehr mit der Region, den politischen Ereignissen, den Menschen und ihren Kämpfen persönlich und politisch verbunden. Wir verstehen uns als Anarchist*innen.  **In den fast neun Monaten der Organisierung hatten wir viele verschiedene Herausforderungen**, die unsere Arbeit mit den Gefährt*innen in der Ukraine geprägt haben, und einige dieser Herausforderungen möchten wir mit euch als wichtige kritische Bewertung dessen, was in dieser Zeit von der internationalen anarchistischen Solidaritätsbewegung erreicht wurde, teilen. Wir wissen, dass dieser Text von einigen Gegner*innen der Unterstützung von Anarchist*innen in der Ukraine benutzt werden könnte um die Bewegung zu diskreditieren. Aber wir glauben, dass nachhaltige Solidaritätsarbeit nur durch die Bewältigung von Herausforderungen möglich ist und nicht durch das Verstecken von Fakten vor Gefährt*innen für eine bequeme Version der Geschichte. Trotz aller Kritik halten wir die Unterstützung der anarchistischen Bewegung in der Ukraine für ein entscheidendes Ziel, damit der antiautoritäre Teil der Gesellschaft zu stärken. **Unser Leben ist voller Widersprüche** und wird es bleiben solange es Ausbeutung, Gewalt, Unterdrückung, Imperialismus, Kapitalismus, Patriarchat … gibt. Das heißt in unserem politischen Handeln gibt es Widersprüche, es gibt keine absolute Wahrheit in dem was wir tun. Trotzdem sind wir aktiv. Wir versuchen unser Handeln zu reflektieren und für uns zu legitimieren. Das haben wir in den letzten 9 Monaten oft getan wenn es dafür Zeit gab. Wir waren verzweifelt, wütend, traurig, entschlossen. Wir wurden kritisiert für das, was wir tun. Wir haben positives Feedback bekommen für das, was wir tun. Wir haben versucht den politischen Debatten zu folgen. Und waren teilweise positiv überrascht, weil die anarchistische/antiautoritäre und linke Bewegung sich offener gezeigt hat für Persepktiven aus der Ukraine. Gleichzeitig haben wir festgestellt, das immer noch viel russische Propaganda geteilt und an den Narrativen von 2014 festgehalten wird. 40 Jahre antikommunistische und antisowjetische Propaganda in der BRD führen scheinbar immernoch dazu, dass wenn die deutsche Regierung Russland kritisiert manche Linke reflexhaft Russland verteidigen müssen.  Aufgrund der in den letzten Jahren aufgebauten Verbindungen zu Gefährt*innen in der Ukraine konnten wir schnell ein Solidaritätsnetzwerk aufbauen. Die Gespräche in den ersten Wochen nach der Invasion drehten sich hauptsächlich darum, Dinge von der langen Liste der Notwendigkeiten zu besorgen und die Soliarbeit weiter voranzutreiben in der Hoffnung, den russischen Vormarsch zu stoppen. Politische Debatten fanden nicht statt, weil alle an der Mobilisierung beteiligten Aktivist*innen einfach keine Zeit/Energie hatten. In den letzten 10 Jahren haben wir gesehen und gespührt was es bedeutet, wenn sich diese sogenannte russische Welt immer mehr Raum nimmt. Repression, Folter, Verfolgung in Russland und Belarus führten zu immer neuen Auswanderungswellen von Aktivist*innen. Die Kooperation der Sicherheitsbehörden in diesen Ländern schränkte die Bewegungsfreiheit noch mehr ein. Zuletzt die Niederschlagung des Aufstandes in Belarus mit Hilfe Russlands. Dabei blieb die Ukraine ein Ort an dem Menschen Zuflucht vor Repression gefunden haben, ein Zwischenraum an dem Menschen sich ohne Visa und Angst vor Repression aus Ost- und West treffen konnten. Nun ist auch dieser Ort bedroht vom russischem Imperialismus, der Zufluchtsraum kein sicherer Ort mehr, Projekte und Zusammenhänge zerstört, Städte zerbombt, Menschen getötet. Die „russische Welt“ breitet sich weiter aus. Für uns ist es deshalb völlig klar, das auch wenn wir als Anarchist*innen den Krieg im Namen eines Staates ablehnen, wir Menschen ein Recht auf Selbstverteidigung zusprechen.  Wir haben zu diesem Angriffskrieg keine pragmatische oder intellektuelle Distanz. Wir verzetteln uns nicht in geostrategischen Diskussionen und analysieren das Möglichkeitenroulett. Wir sind bereits in der Vorbereitung auf die zu erwartende Ausweitung des Krieges unseren Freund*innen und Gefährt*innen gefolgt, die uns um Unterstützung gebeten haben. Leute fordern ein, sich gegen den Krieg zu positionieren, das tun wir, aber was das in der Realität bedeutet ist für Menschen sehr verschieden. Wir würden nicht fordern, dass die Menschen die in der Ukraine gegen Russland kämpfen sich ergeben sollen oder in Waffenstillstandsabkommen der Übernahme der besetzten Gebiete zustimmen sollten. Das würde in der Konsequenz bedeutet, dass Putin erreicht was er will. Deshalb erschließen sich für uns diese Forderungen nicht. Wir denken ebenfalls nicht, dass in der Ukraine westliche Werte verteidigt werden, denn diese vermeintlichen Werte sind geprägt von Kapitalismus, Rassismus, Postkolonialismus, Ausbeutung und vielen anderen Aspekten. Für uns bedeutet Unterstützung in diesem Kontext ein Kampf für die Befreiung vom russischen Imperialismus. Es geht um Freiheit, es geht nicht um Nationalismus, um einen Staat, es geht darum, dass die russische Welt sich nicht auf die Ukraine ausbreitet. Wir haben seit dem 24. Februar 2022 Unterstützungsarbeit geleistet. Es gab einen Spendenaufruf, Lieferung von Equipment, Medikamenten, medizinischer Ausstattung, humanitärer Hilfe, Autos, mehrere Konvois. Menschen, die vor Ort unterstützen wollten wurden hingebracht. Es gab viele interne Debatten über die Entwicklung, Anregungen, Kritik, Aushandlungen. Alles ging extrem schnell. Am Anfang haben wir uns einfach jeden Tag getroffen, telefoniert, organisiert …  Aktivist*innen in der Ukraine hatten sich auf den Krieg vorbereitet, Workshops gemacht, Strategien diskutiert, Handlungsmöglichkeiten abgewogen. Es war klar es werden Menschen bleiben, sich organisieren. Sie werden gegen die „russische Welt“ kämpfen, ihre Community verteidigen. Dabei gibt es unterschiedlichste Motivationen die Menschen in so einem Moment bewegen.  Operation Solidarity wurde ins Leben gerufen und hat unter dem Adrenalinkick der ersten Wochen gearbeitet. Eine Antiautoritäre Einheit wurde gebildet, in der sich Aktivist*innen, mit verschiedensten Perspektiven aus der ganzen Welt wiederfanden. Im Frühjahr 2022 erhielt diese antiautoritäre Einheit die größte Unterstützung. Diese Einheit wurde im Rahmen der territorialen Selbstverteidigung organisiert und war für die Verteidigung der Region Kiew gegen die vorrückenden russischen Streitkräfte zuständig. Als Moskau jedoch den Rückzug aus der Region ankündigte, kam es zu ernsthaften Problemen mit dem örtlichen Kommando, da immer mehr Menschen bereit waren, an die Front zu gehen, und ihnen diese Möglichkeit nicht gegeben wurde. Internationale Kämpfer*innen, die sich der Einheit anschlossen, verloren den Zugang zu Waffen und wurden einfach in einem der Stützpunkte der territorialen Selbstverteidigung „abgestellt“, wobei ihnen unteranderem ein Aufenthaltstitel und die Eingliedeurng in die Ukrainische Armee versprochen wurde. Diese Versprechen wurden gebrochen, und alle ausländischen Kämpfer*innen verließen die territoriale Selbstverteidigung, während ukrainische Anarchist*innen in verschiedene Teile des Landes zogen, um den Widerstand gegen die russische Invasion fortzusetzen. Dies markierte das Ende der antiautoritären Einheit und den Übergang zum gegenwärtigen Zustand – kleinere Gruppen von Anarchist*innen und Antifaschist*innen kämpfen nun an verschiedenen Teilen der Frontlinien und beteiligen sich an verschiedenen militärischen Gruppen.  Innerhalb von Operation Solidarity gab es ebenfalls viele Probleme, Debatten, Richtungsstreits, problematisches Verhalten und Machtansprüche. Letztendlich hat sich die Initiative aufgelöst, der selbsternannter Gründer hat 20.000€ geklaut und die Initiative Solidarity Collectives hat sich aus den verbliebenen Menschen formiert. Die Situation innerhalb der anarchistischen und antiautoritären Bewegung in der Ukraine war vor dem Krieg problematisch, es gab wie wohl überall Konflikte und unterschiedliche Leute wollten nichts miteinander zu tun haben. Mit Beginn des Krieges haben sich auf der einen Seite Leute wieder neu zusammengetan, andere aber auch explizit nicht politisch zusammengearbeitet. Viele Aktivist*innen hatten frühere Konflikte, die eine Zeit lang beiseite geschoben wurden. Doch mit der Zeit begannen diese Widersprüche wieder aufzutauchen.  Es ist nicht wirklich vorstellbar unter welchen Bedingungen sich Leute im Krieg organisieren, Differenzen diskutieren, versuchen Konflikte zu lösen. Menschen, in verschiedenen Städten, die vorher nicht zusammen gearbeitet haben versuch(t)en das in Onlinetreffen. Aktivist*innen haben sich an den Initiativen bisher beteiligt. Viele haben sie aber auch wieder verlassen, sind ausgebrannt, haben einen anderen Fokus, sind müde von den politischen Auseinandersetzungen, die zu der schwierigen Situation und Arbeit hinzukommen und aus vielen weiteren Gründen. Wir haben uns in diese Debatten immer reingehangen und versucht unsere Persepktiven einzubringen. Auch für uns war das sehr anstrengend, oft demotivierend und hat uns viel Energie gekostet, neben den eigentlichen Aufgaben. Wir waren mehrmals davor aufzuhören. Aber unsere Verantwortung gegenüber den Spender*innen, die spenden ist sehr hoch und wir versuchen so transparent wie möglich zu sein. Überhaupt konnte sich keine*r von uns eine Spendenkampagne in dem Umfang überhaupt nur vorstellen. Wir müssen uns also nicht nur vor uns selbst rechtfertigen, sondern vor Allen die unserem Spendenaufruf gefolgt sind. Und wir wollten und wollen so sehr die ukrainische anarchistische/antiautoritäre Bewegung stärken, unterstützen, am Leben erhalten.  Für uns war klar, dass wir alle unterstützen: die, die sich entscheiden die Ukraine zu verlassen und die, die bleiben, egal ob in der Ukraine, Russland oder Belarus. Es gibt Menschen, die sich mit der Waffe gegen den russichen Imperialismus verteidigen wollen. Es gibt gleichzeitig viele Leute in der Ukraine die dies nicht wollen, sich aber anderweitig organisieren und unterstützen, da sie das Land nicht verlassen wollen, können oder dürfen. Für uns ist es nicht nachvollziehbar warum es in den politischen Debatten ein Ausspielen dieser Standpunkte gibt. Herausforderung bei der Verteilung und Abrechnung von Equipment sowie bei der Frage „des Eigentums“ In unserer anarchistischen Vorstellung von kollektiver Organisierung war unsere Perspektive klar – die Spenden und all das davon organisierte Equipment sollte ebenfalls kollektiv sein. Die Realität des Krieges zeichnete allerdings ein anderes Bild.  In den ersten Wochen fragten uns einige Gefährt*innen, wer Unterstützung bekommt und wie das Equipment verteilt wird. Ein Teil der anarchistischen Gefährt*innen war sehr klar in ihren Bedürfnissen und schickte eine Liste mit benötigter Ausrüstung, während andere bescheiden waren und außer 1-2 Sachen nach nichts fragten. In einigen Fällen wussten die Leute aufgrund mangelnder Kontakte in der Ukraine selbst nicht einmal von den Möglichkeiten, Unterstützung von westlichen Gefährt*innen zu bekommen. Dies hing auch damit zusammen, dass viele Anarchist*innen und antiautoritäre Aktivist*innen in der Ukraine entschieden, alleine oder mit ihrer kleinen Gruppe zu gehen. Einige von ihnen befanden sich bereits in umkämpften Gebieten und waren schwer zu erreichen. Im Allgemeinen war die Situation mehrere Monate lang so, bis der russische Vormarsch in viele Richtungen aufhörte und die Gefährt*innen etwas Zeit bekamen, um mit den Organisator*innen der Infrastruktur in Kiew/Lviv und anderen Städten zu sprechen. Eine der ersten Diskussionen, die im April begann, war die Frage verschiedener Gruppen im Westen, wer eigentlich für die in die Ukraine geschickte Ausrüstung verantwortlich ist. Sollte die Ausrüstung im Wert von Zehntausenden von Euro an Einzelpersonen gehen und das war’s dann, oder sollten sich organisierte anarchistische Gruppen darum kümmern, was an wen geht, um eine gerechte Verteilung der Ressourcen sowie eine Übersicht über das kollektive Eigentum zu haben, das mit dem Geld der anarchistischen Gemeinschaft gekauft wurde. Diese Diskussion wurde noch komplizierter, da die in die Ukraine gebrachte Ausrüstung oft verschiedenen Teilen der ukrainischen Armee zugewiesen wurde, was für uns problematisch war, da wir wollten, dass diese Ressourcen der ukrainischen anarchistischen Bewegung zur Verfügung stehen und nicht dem ukrainischen Staat. Letzten Endes brachte die Diskussion nicht so viele Ergebnisse. Viele Gefährt*innen waren der Meinung, dass die Unterstützung direkt an die Kämpfer*innen gehen sollte, oft mit der Begründung, dass diese sonst unsicher in ihrer Nutzung seien. Ein weiteres Problem, das sich aus dieser Diskussion ergab, ist die Machtdynamik des Krieges. Viele Aktivist*innen, die sich nicht den militärischen Formationen angeschlossen haben, sehen sich in einer unterstützenden Rolle, die in vielen Fällen an einfache Wohltätigkeitsarbeit erinnert, die viele westliche NGOs derzeit leisten. Die politische Seite des Widerstands gegen den Krieg verschwimmt oft mit Gruppen, die bestimmte politische Prinzipien wie Gleichheit und Partizipation zugunsten einer schnellen und pragmatischen Arbeit aufgeben. Zudem war es schwer gegen die strukturelle Organisation des Krieges, also die Armee anzukommen, da es eben keine unabhängigen Einheiten gibt. Aufgrund der oben beschriebenen Konflikte innerhalb der Bewegung ist auch verständlich, dass es schwierig war, eine Infrastruktur zu schaffen, die stabil genug ist, um mit all den Ressourcen zu arbeiten, die der Ukraine übergeben wurden. Momentan ist die Situation nach all den Monaten der Organisation besser.  Gefährt*innen, die sich in zukünftigen Konflikten wiederfinden, die eine große Menge von Ressourcen erfordern, sollten die Bedeutung der Frage des kollektiven Eigentums und der Verwaltung all dieser Ressourcen auf antiautoritärer Basis berücksichtigen. Es ist erwähnenswert, dass einige der Menschen, die Solidarität von der anarchistischen Bewegung erhielten, eine Hamstermentalität hatten und versuchten, so viel Ausrüstung wie möglich zu bekommen, selbst in Situationen, in denen diese nicht benötigt wurden. Diese Haltung war vor uns vor allem im ersten Monat der Invasion nicht klar. Im Allgemeinen wurde viel Unterstützung auf der Basis von Vertrauen geleistet – es ist für Menschen, die nicht selber kämpfen, schwer zu verstehen, welche Ausrüstung benötigt wird, ganz zu schweigen von den Situationen, in denen das Leben der Person in Gefahr ist. Wir hätten gerne eine Bewegung, in der jeder ehrlich ist und gleichberechtigt arbeitet. Das ist aber oft nicht der Fall, deshalb ist es wichtig, Strukturen aufzubauen, die nicht nur auf Vertrauen beruhen, sondern auch den Missbrauch der Solidaritätsarbeit für persönliche Interessen erschweren. Die Formalisierung bestimmter Prozesse sowie die Rechenschaftspflicht aller Gefährt*innen würde in solchen Situationen definitiv helfen. *** Wer kämpft wo mit wem? Beginnen wir mit einem sehr einfachen Teil – aus Sicherheitsgründen werden wir die geografischen Standorte der anarchistischen Gruppen, die derzeit in der Ukraine kämpfen, nicht nennen. Ihr könnt das herausfinden, indem ihr einigen der Kämpfer*innen in den sozialen Netzwerken folgt, wenn die Leute/Gruppen diese Informationen veröffentlicht haben, wie zum Beispiel https://t.me/theblackheadquarter. Für uns war von Beginn des Krieges an wichtig, welchen Einheiten sich die Gefährt*innen anschlossen. Im Jahr 2014, als die erste Phase des Krieges begann, entschieden sich einige ukrainische Antifaschist*innen und Anarchist*innen, den freiwilligen Kampfgruppen beizutreten, die von den politischen Organisationen der Faschist*innen und Neonazis organisiert wurden. Damals lautete die Argumentation, dass dies die einzige Möglichkeit sei, die russischen Truppen im Donbass zurückzuschlagen, da es keine linken oder anarchistischen Freiwilligenbataillone gab. Die Frage war also, ob sich diese Dynamik im Jahr 2022 wiederholen würde. Natürlich hat sich die Situation seit Beginn des Krieges geändert. Die ukrainische Armee versuchte, die politische Organisierung und den Einfluss der rechtsextremen Gruppen innerhalb des Militärs zu begrenzen. Es ist wichtig, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass dieser Einfluss von den Putin-Anhängern traditionell überbewertet wurde. Wir können feststellen, das die politische Rechten aus den Kriegsanstrengungen 2014 bei den letzten ukrainischen Wahlen nicht profitieren konnte.  Doch gleichzeitig bleibt die Realität bestehen. Faschist*innen sind in den Reihen der ukrainischen Armee viel besser organisiert als Linke oder Anarchist*innen, welche traditionell den Militärdienst meiden und sich von den staatlichen Kriegsanstrengungen fernhalten. Als die Invasion begann, fanden sich also viele Gefährt*innen in einer Situation wieder, in der es nur sehr begrenzt möglich war, sich innerhalb des ukrainischen Militärs am Krieg gegen Russland zu beteiligen, ohne Kontakt zu Neonazis zu haben. Das bedeutet, dass man, selbst wenn man sich in der lokalen territorialen Selbstverteidigung befindet, in derselben Einheit mit lokalen Faschist*innen landen kann, die sich dem Krieg aus unterschiedlichen Gründen anschließen. Einige Gefährt*innen brachten die Versuche, einen Platz in den militärischen Reihen zu bekommen, direkt zu Einheiten, die direkt mit ukrainischen faschistischen Gruppen verbunden sind. Und wir sprechen hier von Gruppen wie dem Rechten Sektor oder anderen politischen Organisationen. Für uns ist das eine äußerst problematische Situation, da einige Antifaschist*innen und Anarchist*innen jetzt auf die eine oder andere Weise zu Kräften werden, die die Entwicklung der rechtsextremen Politik in der Ukraine unterstützen. Für die Faschist*innen ist es derzeit nicht wirklich wichtig, nur faschistische Sympathisant*innen zu rekrutieren. Allerdings schaffen solche Entscheidungen eine gewisses Ungleichgewicht in der politischen Repräsentation innerhalb der Armee. Diese Situation hat eine der ersten Warnsignale für unsere Solidarität ausgelöst. Wollen wir Einzelpersonen oder kleinere Gruppierungen unterstützen, die im Krieg innerhalb der rechten Formationen kämpfen? Und die Antwort ist klar: Nein. Für uns ist es inakzeptabel, sich den Faschist*innenen anzuschließen, selbst im Krieg gegen Putin. Viele der Gefährt*innen, die diese Entscheidung getroffen haben, hatten auch andere Möglichkeiten, sich am Kampf zu beteiligen, haben sich aber für die Rechten entschieden, da diese Gruppen das beste „soziale Paket“ anbieten und manchmal auch eine gewisse Autonomie für die Anarchist*innen oder Antifaschist*innen versprechen. Je mehr Menschen sich diesen Einheiten anschließen, desto mehr Ressourcen und Publicity erhalten sie und ziehen mehr Rekruten an, da sie über eine bessere Ausrüstung und eine bessere soziale Unterstützung verfügen als andere militärische Strukturen. Dies ist eine gefährliche Spirale, die im Moment tatsächlich das Wachstum des rechten Einflusses innerhalb der militärischen Bemühungen der ukrainischen Gesellschaft unterstützt. Als die Diskussion über diese Entwicklung weiterging, gingen einige der Gefährt*innen leider in den Leugnungsmodus über und versuchten, die politische Organisierung von Asow, Rechtem Sektor und anderen faschistischen militärisch-politischen Gruppen herunterzuspielen. Wenn wir die Tatsache leugnen, dass sich die ukrainischen Faschist*innen in diesem Krieg organisieren, schaffen wir eine Situation, in der das Ignorieren ihrer Macht zu sehr ernsten Konsequenzen für die ukrainischen Anarchist*innen und Antifaschist*innen führen kann, wenn das russische Regime zerstört ist. Nicht alle stimmen mit uns überein. In der Tat sind viele Gefährt*innen, die sich gerade in der Ukraine aufhalten, der Meinung, dass die Unterstützung weitergehen sollte, auch wenn die Leute Fehler bei ihren Entscheidungen innerhalb des Militärs machen. Das schafft eine komplizierte Situation, in der die weitere Arbeit durch das Fehlen einer gemeinsamen Perspektive stark beeinträchtigt wird. Für uns ist die Solidaritätsarbeit rund um den Krieg in der Ukraine politisch und in erster Linie darauf ausgerichtet, die fortschrittlichen Kräfte in diesem Krieg zu unterstützen, so dass es zu mehr Freiheit und Gleichheit kommt, wenn die Menschen gewinnen. Wir unterstützen nicht jede*n, ohne auf die politischen Ziele hinter der Beteiligung am Krieg zu schauen. Je mehr Menschen sterben und je mehr Schaden die Invasoren der ukrainischen Gesellschaft zufügen, desto mehr verstehen wir, wie die Politik in den Hintergrund der Organisation treten kann, da die Menschen bereit sind, größere Kompromisse einzugehen, um Putin und seine Armeen tatsächlich zu zerschlagen. *** Was also ist jetzt zu tun? Da die Herausforderungen immer größer werden und die politischen Diskussionen weiter scheitern, wissen wir, wie wichtig es ist, weiterzumachen. Den Kampf der Gefährt*innen in der Ukraine aufzugeben und zu sagen, dass er für den westlichen Anarchismus nicht glänzend genug ist, ist nicht unser Weg. Wir glauben, dass Unterstützung und Spenden auch bei Kritik weitergehen müssen. Wir bleiben Gefährt*innen, auch wenn wir in unterschiedlichen politischen Fragen miteinander streiten. Gleichzeitig ist es für uns wichtig, Strukturen zu schaffen, die diese Kritik in die Unterstützung einbeziehen. Wir wollen nicht für die gesamte anarchistische Bewegung entscheiden, welche Gruppen und Personen genau unterstützt werden sollen. Vielmehr haben wir uns, nachdem wir alle Bedenken geäußert haben, dazu entschlossen, eine Differenzierung der Spenden zu schaffen, um sicherzustellen, dass ihr selbst entscheiden könnt, wen ihr unterstützen wollt. Von nun an werden die Spenden mit dem Stichwort „Ukraine“ dazu verwendet, nur die Gefährt*innen zu unterstützen, die nicht in irgendwelchen Einheiten kämpfen, die mit ukrainischen Faschist*innen oder Neonazis verbunden sind. Wenn ihr trotz aller Widersprüche für Antifaschist*innen und Anarchsit*innen in rechten Einheiten spenden wollt, schreibt das einfach in den Spendenvermerk. Abgesehen davon werden alle Spenden, die an uns geschickt werden, weiterhin für die Gefährt*innen verwendet, die die Ukraine wegen des Krieges verlassen mussten, so wie wir es früher getan haben. Wir werden weiterhin mit Solidarity Collectives als unserem Hauptbezugspunkt in der Ukraine in der Solidaritätsarbeit zusammenarbeiten, trotz einiger politischer Differenzen. Wir glauben, dass solch komplizierte und kritische Situationen wie der Krieg politische Perspektiven für unsere Bewegung erfordern. Daher sehen wir Kritik als wesentlichen Teil unserer Bewegung an. Aber lasst uns nicht Kritik und Reproduktion der Staatspropaganda aus Moskau vermischen. Wir dürfen ausserdem nicht zulassen, dass Kritik und Zweifel uns handlungsunfähig machen.  Wir möchten die Gefährt*innen auch dazu aufrufen, weiterhin aufmerksam zu verfolgen, was gerade in Osteuropa passiert, denn die politischen Kämpfe dort könnten prägend dafür sein, wie ganz Europa in den nächsten Jahrzehnten aussehen wird. Und vergesst nicht zu spenden und die Menschen in eurem Umfeld zum Spenden zu bewegen. Die ukrainische Bevölkerung ist jetzt in der Lage, sich der russischen Invasion zu widersetzen, dank der massiven Solidarität aus der ganzen Welt, und die anarchistische Bewegung ist Teil dieser Solidarität. ***Bis der Kreml niederbrennt*** **Anarchistisches Schwarzes Kreuz Dresden**